Flugexperte: „Lufthansa behandelt nur die Symptome“

Anfang der Woche hat Lufthansa vor Investoren und Analysten seine Strategie vorgestellt, mit der… 

Anfang der Woche hat Lufthansa vor Investoren und Analysten seine Strategie vorgestellt, mit der sich der Kranich-Konzern zukunftsfähig aufstellen, die Kosten senken und wieder in die profitable Zone fliegen will. Schlagzeilen machten vor allem die Pläne, 4.000 Jobs zu streichen. Luftfahrtexperte Gerald Wissel vom Hamburger Beratungsunternehmen Airborne Consulting kritisiert im Interview mit touristik aktuell falsche Prioritäten, die nicht die Ursachen der Probleme beheben.

Herr Wissel, Sie haben sich durch das rund 120-seitige Strategiepapier gearbeitet. Ist das jetzt der große Wurf, um Lufthansa wieder in die Spur zu bringen?

Ganz sicher nicht. Ich konnte in der gesamten Präsentation kaum erkennen, wie Lufthansa die dringendsten Probleme beheben will. Ich habe den Eindruck, dass hier nur Symptome behandelt werden sollen und das Management nicht an die Ursachen herangeht. Es fehlt an konkreten Maßnahmen, und für mich war darin viel zu viel „Multi“ und zu wenig „Fokus“.

Aber 4.000 Stellen zu streichen, würde die Kostensituation doch schon entspannen.

Das hört sich zunächst nach viel an, sollte aber in Relation zum Gesamtkonzern mit über 100.000 Beschäftigten gesehen werden. Vor allem muss man abwarten, ob und wie das bis 2030 umgesetzt wird – bis dahin kann in der Airline-Branche noch viel passieren. Ich sehe diese Maßnahme daher vor allem als Beruhigungspille für den Kapitalmarkt.

Also ist das Ganze eher eine Luftnummer?

Richtig ist natürlich, dass die Verwaltung in der Lufthansa-Gruppe zu aufgebläht ist und es eine Menge Doppelstrukturen gibt. Das muss auf jeden Fall bereinigt werden. Aber ich warne davor, gleiches auch im IT-Bereich zu tun. Die IT-Landschaft im Konzern mit seinen vielen Fluggesellschaften ist inzwischen hochkomplex, da braucht es Fachleute, die man später wieder teuer einkaufen müsste. Da hilft Digitalisierung und KI allein auch nicht weiter. Hinzu kommt, dass anstelle einer neuen „Matrix“-Organisation eine Struktur mit klaren Verantwortlichkeiten und mit weniger Gremien erforderlich wäre.

Also scheint Lufthansa das Thema Komplexität nicht wirklich anzugehen.

Ich sehe das in der Tat weiterhin als Hauptproblem. Zum Beispiel gibt es einen Konzerntarifvertrag, der Aktenschränke füllt. Dann gehören inzwischen sechs europäische Hubs zum Unternehmen und ständig werden weitere Gesellschaften und Plattformen gegründet wie zuletzt Lufthansa City Airlines – auch, um mit außertariflicher Bezahlung Kosten zu senken. Die Frage ist: Wie viele Fluggesellschaften braucht Lufthansa noch oder wann werden die wirklichen Probleme endlich angegangen?

Aber Eurowings zum Beispiel scheint sich zum Erfolgsmodell zu entwickeln.

Zweifellos macht Jens Bischof als CEO einen guten Job. Aber da entsteht auch wieder eine Doppelstruktur: Eurowings Discover, heute Discover Airlines, wurde als neuer Ferienflieger aus der Taufe gehoben, um den nach Corona stark zurückgekommenen Tourismus besser zu bedienen. Gleichzeitig ist es auch die Strategie der Schwester Eurowings, im europäischen Punkt-zu-Punkt-Verkehr immer mehr in den Leisure-Markt vorzudringen. Die Antwort auf die Frage, braucht es wirklich beide Airlines, ist aus meiner Sicht rein akademisch.

Zugleich will Lufthansa aber ja verschiedene Bereiche wie Netzplanung, Pricing oder Vertrieb zentralisieren und somit Komplexität herausnehmen.

Eine Zentralisierung ist dringend nötig, nur muss sie konsequent sein. So würde es Sinn machen, Flugzeugflotten nach Herstellern zu vereinheitlichen und wenn es nur innerhalb der jeweiligen Airlines in der Lufthansa Group geschieht. Und ich nenne Ihnen ein anderes Beispiel: Konzernweit existieren 21 verschiedene Triebwerkstypen – das ist Wahnsinn und weltweit einmalig.

Also geht es vor allem um ein einheitliches Produkt.

Das wäre aus meiner Sicht ein richtiger Schritt. Warum braucht jede Airline-Marke einen eigenen Lounge-Typ an den Airports oder eine eigene Familie von Flugsitzen? Auch die neue Langstreckenkabine Allegris ist so ein Fall: So soll die Wartung sehr kompliziert sein und wegen des Gewichts müssen einige Flugzeuge mit Tonnen von Mehrgewicht neu austariert werden.

Dabei macht es die Konkurrenz wie British Airways doch vor: Sie kaufen Produkte und Komponenten von der Stange ein und fahren gut damit. Man sollte bei Lufthansa besser anfangen, in Produktionseinheiten zu denken und jene, die im internen Wettbewerb die beste Qualität und Produktivität zu den geringsten Kosten produzieren kann, auch die meisten Flüge durchführen zu lassen.